Rosskastanie, Baum des Jahres 2005
Zu den stattlichsten Laubbäumen unserer Parks und Alleen zählt die Rosskastanie (Aesculus hippocastanum). Sie ist der klassische Schattenspender in Gartenwirtschaften. Die tief ansetzende, mächtig ausladenden Baumkrone bildet einen perfekten Sonnenschirm: Die fünf- bis siebenfingerigen Blätter wenden sich so geschickt zum Licht, dass jede Lücke ausgenützt wird. Unter solch einem Dach fühlt sich auch mancher Vogel geborgen; vielleicht baut der bunte Stieglitz deshalb sein zierliches Nest so gerne auf Kastanien. Gewährt doch solch eine Kastanien-Blätterlaube auch den besten Schutz vor kräftigen sommerlichen Regengüssen, denn die horizontal gestaffelt angeordneten Blätter leiten das Wasser weit nach außen ab.
Auch aufgrund ihrer im Frühjahr erscheinenden prächtigen aufrechten Blütenkerzen und der von Kindern so geschätzten glänzend braunen Früchte ist die Rosskastanie eines der beliebtesten sommergrünen Gehölze.
Namensgebung und Verwendung
Auch wenn früher die gemahlenen Samen zur Heilung von Pferde-Asthma verwendet wurden - mit Pferden hat die Vorsilbe „Ross" nichts zu tun, sondern soll (wie bei Rosskümmel oder Rossminze) die als minderwertiger eingestufte Frucht von der ähnlichen Esskastanie unterscheiden. Immerhin wurde in Notzeiten das stärkereiche, zuvor entbitterte Kastanienmehl zur Hälfte dem Getreidemehl zum Brotbacken beigemischt. Da die Früchte bittere Gerbstoffe (Saponin u.a.) enthalten, wurden sie früher zur Herstellung Fett und Öl lösender Handwaschmittel benutzt. Die Rinde diente zum Gelbfärben von Stoffen. Blüten, Samen und Rinde kommen noch heute in Tees und zahlreichen Präparaten (z.B. bei venösen Gefäßstauungen) heilkundlich zur Anwendung. Ein bestimmter Rindenextrakt wird Lichtschutzsalben zugesetzt, während trockene und gepulverte Rosskastanien den Hauptbestandteil des Schneeberger Schnupftabaks bilden.
Nektar für Hummeln
Die Blüten der Rosskastanie sind zu großen pyramidenförmigen Rispen vereinigt. Nur wenige Blüten besitzen neben ihren sieben Staubblättern noch einen wohl ausgebildeten Stempel, bei allen anderen ist der Stempel verkümmert. Diese unfruchtbaren Blüten sind jedoch nicht völlig wertlos: Zum einen vergrößern sie als „Schaublüten" den Blütenstand, um ihn augenfälliger zu machen. Zum anderen liefern sie, da sie sich stets zuerst entfalten, Blütenstaub für die Narben der fruchtbaren, d.h. voll ausgebildeten Blüten.
Da die Narbe und die geöffneten Staubbeutel weit vor der Blütenöffnung stehen, können sie nur von größeren Insekten beim Saugen des reichlich gebotenen, hochkonzentrierten Nektars (40 bis 76 % Zucker) berührt werden. Vor allem Hummeln, die Griffel und Staubblätter als bequeme „Sitzstangen" benutzen, tragen den an der Unterseite ihres Hinterleibes mitgebrachten Pollen älterer Blüten zu den Narben jüngerer und vollziehen so deren Bestäubung.
Pollen für Honigbienen
Insekten erkennen an der Verfärbung der Saftmale (zugleich Duftmale) auf den beiden oberen Kronblättern von Gelb nach Rot, ob die Einzelblüten schon befruchtet sind. Obwohl der tief im Blütengrund verborgene Nektar für den längeren Saugrüssel der Hummeln müheloser erreichbar ist, versuchen auch Bienen ihr Glück und werden zumindest mit Pollengaben reich beschenkt - die Pollensammlerinnen kehren über und über rot bepudert in den Stock zurück. Der Pollen wird von den Bienen in großen dunkelroten bis violetten Höschen eingetragen - sie können ein Gewicht von 8 bis 11 mg erreichen und gehören damit zu den größten der von Bienen gesammelten.
Früchte für Wild und Vieh
Ein großer Kastanienbaum trägt ungefähr 1000 Blütenkerzen. Jede bildet im Verlauf einer Blütezeit 200 bis 250 Einzelblüten. Würde aus jeder Einzelblüte eine Kastanie von 40 g entstehen, ergäbe das für den Baum eine Gesamtbelastung von 10000 kg oder 101 (Gewicht von 12 VW-Käfern). Die Natur hat hier die notwendige Vorsorge getroffen: Viele Früchte fallen als grüne „Minikastanien" vorzeitig ab. Nur die Blüten im unteren Teil der Rispen werden ausreichend mit organischen Stoffen versorgt und bringen ihre Früchte bis zur Reife.
In der weichstacheligen, dickschaligen Kapsel befinden sich ein bis drei glänzend rotbraune Kastanien, die 60 bis 70 % Stärke enthalten. Sie werden von Schweinen und Schafen, vor allem aber vom Rot- und Damwild gerne verzehrt, weshalb die Forstverwaltungen in Revieren mit starkem Schalenwildbestand oft Rosskastanien anpflanzen oder gesammelte Kastanien aufkaufen.